Staunst Du noch?

"Erinnern Sie sich daran, wann Sie das letzte Mal wirklich gestaunt haben?" Wenn ich diese Frage älteren Menschen stelle, erhalte ich oft Antworten wie „ach, das ist lange her“ oder „in meinem Leben gibt es nichts mehr zu staunen“. Bei Kindern dagegen ist das ganz anders: Alles ist spannend, neu, noch nie gesehen – ein Flugzeug am Himmel, ein vorbeifahrender Zug, der Regenwurm auf dem Bürgersteig. Ich denke an große Augen und weit offene kleine Münder.

 

Aber warum staunen dann Erwachsene und insbesondere ältere Menschen so selten? Eigentlich gibt es doch genug wunderbare Dinge in unserer Welt – die Abläufe der Natur, ein Regenbogen, die Wandlung von der Raupe zum Schmetterling oder Wunderwerke der Kunst, Musik oder Technik. Warum nehmen wir das alles nicht mehr als „staunenswert“ wahr, was stimmt also nicht?

 

Die meisten Antworten klingen so: „Ich habe keine Zeit zum Staunen“, „ich kenne doch schon alles“ oder „ich habe etwas anderes im Kopf“. Nun ja, das würde zumindest erklären, warum Kinder so oft staunen. Sie machen sich weniger Gedanken um die Zukunft, sondern es ist immer der jetzige Moment wichtig. Sie kennen noch nicht „alles“ und erleben ständig neue Dinge.

 

Ich finde es schade, dass wir Erwachsenen uns selber im Weg stehen und denke, staunen hat etwas mit bewusstem Erleben zu tun. Natürlich geht die Sonne jeden Morgen auf, trotzdem kann ich über das wunderschöne Farbspiel am Himmel staunen. Natürlich war ich schon häufiger in den Bergen, trotzdem kann ich die großartige Aussicht bewundern, wenn ich den Gipfel erreicht habe. Und natürlich habe ich schon oft Weihnachten gefeiert, trotzdem kann ich das kommende Fest als etwas Einzigartiges begreifen und staunend vor dem schön geschmückten Baum mit den festlichen Lichtern stehen.

 

Ich möchte euch ermutigen, mit offenen Augen und weitem Herzen in die kommende Advents- und Weihnachtszeit zu gehen und ich bin mir sicher, es gibt für jeden Menschen Momente des Staunens. Und vielleicht fühlen wir uns dann ja auch wieder so unbeschwert wie ein kleines Kind – was für ein Geschenk.