Wenn ich ganz still bin...

Wenn ich ganz still bin,

kann ich von meinem Bett aus das Meer rauschen hören.

Es genügt aber nicht, ganz still zu sein,

ich muss auch meine Gedanken vom Land abziehen.

 

Es genügt nicht, die Gedanken vom Festland abzuziehen,

ich muss auch das Atmen dem Meer anpassen,

weil ich beim Einatmen weniger hören.

Es genügt nicht, den Atem dem Meer anzupassen,

ich muss auch Händen und Füßen die Ungeduld nehmen.

 

Es genügt nicht, Hände und Füße zu besänftigen,

ich muss auch die Bilder von mir weggeben.

Es genügt nicht, die Bilder wegzugeben,

ich muss das Müssen lassen.

Es genügt nicht das Müssen zu lassen,

solange ich das Ich nicht verlasse.

 

Es genügt nicht, das Ich zu lassen,

ich lerne das Fallen.

Es genügt nicht, zu fallen,

aber während ich falle

und mir entsinke,

höre ich auf,

das Meer zu suchen,

weil das Meer nun

von der Küste heraufgekommen,

in mein Zimmer getreten, um mich ist.

 

Wenn ich ganz still bin.

 

(Dorothee Sölle, in: Schmeisser, In der Mitte leben)